Das legendäre Ford Capri Sportcoupé in „Gold-Optik“. Produziert wurde es von 1968 bis 1986 in Deutschland und England – parallel erlebte die deutsche Autoversicherungsbranche eine „goldene“ Zeit. (Quelle: Ford Werke)
1939: Start der Pflichtversicherung
In Deutschland beginnt die Geschichte der Kfz-Versicherung am 7. November 1939: An diesem Tag wurde das deutsche Kfz-Pflichtversicherungsgesetz verkündet. Seitdem sind alle Besitzer eines angemeldeten Kraftfahrzeuges zum Abschluss einer Kfz-Versicherung verpflichtet. Das Gesetz wurde erlassen, da durch die steigende Zahl von Autos und Autofahrern Risiken zunahmen und Schadenssummen, die durch Unfälle im automobilen Straßenverkehr erreicht wurden, durch Halter oder Fahrzeugführer finanziell nicht getragen werden konnten. Die Pflichtversicherung dient in erster Linie zum Schutz von Geschädigten und zum Erfüllen von deren Ansprüchen.
Werkstattszene in den 30er Jahren:
Am 7. 11.1939 wird die Kfz-Pflichtversicherung eingeführt. (Quelle: ProMotor)
1949 – 1994: „Goldene Zeiten“ der Autoversicherung
Erst nach dem 2. Weltkrieg – mit dem Aufstieg und ständigen Wachstum der Automobilindustrie – begann die Entwicklung eines florierenden Autoversicherungs-Marktes.
Mit der Erschließung breiter Autokäuferkreise ab Anfang der 50er Jahre verbreiteten sich neue Kfz-Versicherungs-Produkte. Die zunächst meist gewerblichen Autonutzer mussten den Großteil ihrer Ersparnisse einsetzen oder den Fahrzeugkauf per Kredit realisieren. Durch eine Kaskoversicherung konnten sich diese Autohalter für den Schadensfall wirkungsvoll vor Wertverlust schützen. Parallel federten Finanzierungsgesellschaften durch solche Versicherungen die Risiken ihrer Kfz-Finanzierungen ab.
Volkswagen-Versicherungsdienst-Büro in den frühen 60er Jahren:
Bevor in einigen Jahren Großcomputer zum Einsatz kommen,
arbeiten die Versicherungs-Mitarbeiter mit Adrema-Adressmaschinen
und speichern Daten auf Hollerith-Lochkarten.
(Quelle: Volkswagen Aktiengesellschaft)
Als ab Mitte der 50er Jahre immer mehr Privatkunden als Kfz-Erstkäufer auftraten, bekam ein weiterer Versicherungstyp Bedeutung: Diese Käufer gingen finanziell vorsichtig vor und schlossen statt der teureren Vollkasko- Teilkaskoversicherungen ab.
Erst in den folgenden Jahren setzte sich das heute typische Kfz-Versicherungskonzept durch: Für Neuwagen werden in der Regel für die ersten drei bis vier Jahre Vollkaskoversicherungen abgeschlossen. Danach gilt bis zum achten Jahr die Teilkaskoversicherung als vernünftige Versicherungsausstattung.
Bis zur sogenannten Deregulierung des Versicherungsmarktes im Jahr 1994 erlebten die Versicherungsgesellschaften im Autogeschäft ruhige und „goldene“ Zeiten. Zwar wurden die Versicherungstarife im Detail über die Jahre komplizierter; der Versicherungsnehmer-Kreis und das Schadens-Volumen wuchsen steil an. Mit der Nutzung von Großrechenanlagen ab Ende der 60er Jahre konnte die damit verbundene „Masse“ an Arbeit weiterhin gewinnbringend bewältigt werden.
Die Gesellschaften boten den Kunden einheitliche Produkte an, die zuvor von den Verbänden der Versicherungswirtschaft entworfen und vom Aufsichtsamt genehmigt wurden.
Ab 1948 machte VW seinen Kunden bereits zusammen
mit dem Volkswagen Versicherungsdienst (VVD)
Versicherungsangebote. Wie die Anzeige von 1962
belegt, dachte der VVD bereits früh über das Thema
„Schadenmanagement“ nach.
(Quelle: Volkswagen Aktiengesellschaft)
Ab 1994: Mit der „Deregulierung“ wird alles anders.
Im Sommer 1994 brach aus der Sicht vieler Versicherungsexperten das „Chaos“ aus. Der Versicherungsmarkt in den EU-Ländern wurde dereguliert. Produkte und Tarife können seitdem ohne staatliche Überprüfung und Zulassung angeboten werden – in Deutschland werden Policen aus allen EU-Ländern verkauft und umgekehrt. Im Einzelnen kamen massive Produkt- und Tarifstruktur-Veränderungen auf den Kfz-Versicherungsmarkt zu.
Bei den Tarifierungskriterien wird seitdem beispielsweise zwischen den sogenannten „harten“ Merkmalen, das sind die objektiv feststellbaren wie z. B. Fahrzeugalter und –typ und den „weichen“ Merkmalen unterschieden, die objektiv nicht zu belegen sind wie etwa Garagennutzung oder Wenigfahr-Neigungen des Halters. Ziel der darauf aufbauenden Tarifvielfalt der Versicherungsgesellschaften ist, durch individuelle Tarifgestaltungen Kunden zu binden bzw. neue Kunden zu gewinnen.
Der nach dieser Deregulierung auftretende Wettbewerb ist hart. Heute kämpfen 100 Anbieter um deutsche Kunden. Die angebotenen Tarife sind scharf kalkuliert. Stiftung Finanztest hat für das Jahr 2010 eine Schadens- und Kostenquote von 107 Prozent errechnet: Finanztest schließt daraus, dass die Gesellschaften für jeden Euro Versicherungsbeitrag 1,07 Euro für Schadensregulierung, für Verwaltung und Vertrieb ausgeben mussten, also „draufgezahlt“ haben. Dass Versicherer vor diesem Hintergrund überleben, erklärt sich durch verzinste Millionenbeiträge, welche diese in den „goldenen“ Zeiten als Schadensreserve zurückgelegen konnten.
Viele Kfz-Versicherungen bemühten sich seit Jahren, ihre Kostenprobleme durch umfassendes „Schadenmanagement“ zu bewältigen. Dazu kooperieren sie mit einem Netz von freien Partnerwerkstätten. Diese sollen auf einen Teil ihrer Margen verzichten und gleichzeitig mehr Service-Leistungen erbringen. Die Versicherungen senken dadurch ihre Kosten, während die Betriebe ihre Auslastung erhöhen. Die Kunden profitieren nicht nur durch erweiterte Schaden-Serviceleistungen, wie etwa durch einen kostenlosen Hol- und Bringservice. Ihnen werden 10 bis 20 Prozent Beitragsersparnis angeboten, wenn sie bei Kaskoschäden in Werkstätten fahren, die der Versicherer vorgegeben hat.
Heute: Autoversicherungen sind Bausteine einer Allfinanz-Strategie
Inzwischen sehen sich die deutschen Autohersteller durch diese Entwicklung unter Zugzwang – ihr Reparaturgeschäft und die Stabilität ihrer Kundenbeziehungen scheinen in Gefahr. Als Reaktion bauen sie ihre eigenen Schadenmanagement-Systeme auf: Sie bieten unter ihrem Markennamen attraktive „eigene“ Kfz-Versicherungspolicen an. Hinter diesen Produkten stecken meist kooperierende große Versicherungsunternehmen, die Tarife kalkulieren, als Risikoträger im Hintergrund auftreten und im Schadensfall die Fahrzeuge des Versicherten gezielt in die Marken-Werkstätten „steuern“. Auf diese und ähnliche Weise arbeiten zum Beispiel die Allianz mit VW zusammen, die Victoria mit BMW, die HDI mit Mercedes und die Garanta aus der Nürnberger Versicherungsgruppe mit Ford. Toyota nimmt eine Sonderrolle ein. Das Unternehmen kann mit dem Toyota Versicherungsdienst auf die Produkte der konzerneigenen Versicherung Aioi Nissay Dowa Insurance Europe (ANDI) zurückgreifen.
Das VW Konferenz- und Finanz-Center in Braunschweig –
ein Symbol für die globale Allfinanz-Strategie, an der
sich die internationale Autoindustrie heute orientiert.
(Quelle: Volkswagen Aktiengesellschaft)
Die Automobilhersteller komplettieren durch diesen Einstieg in den Versicherungsmarkt ihre „Allfinanz“-Strategie. Für sie ist das Versicherungsgeschäft ein Wachstumsfeld im ständig wichtiger werdenden Finanzdienstleistungsgeschäft.
Aus Expertensicht verliert die eigentliche Automobilproduktion im Gewinn- und Umsatzvergleich mit den anderen Dienstleistungen rund um das Fahrzeug zunehmend ihre übergeordnete Rolle. Für die gesamte Automobilwirtschaft wird davon ausgegangen, dass 50% der Umsätze und 70% der Gewinne durch nachgelagerte Aktivitäten wie etwa Finanzdienstleistungen erwirtschaftet werden.
Wichtiger Nebeneffekt: Mit Hilfe attraktiver Finanzierungsmöglichkeiten und Versicherungspolicen wird die Neuwagen-Kaufentscheidung und letztlich die Markenbindung der Automobilinteressenten deutlich beeinflusst. Kunden werden durch sogenannte „Mobilitätspakete“ angelockt, die an den individuellen Autonutzungs-Bedürfnissen ausgerichtete, aufeinander abgestimmte Finanzierungs- und Versicherungs-Angebote bündeln.
An diesem Allfinanzkonzept orientiert sich auch die Branchen-Bank des Kraftfahrzeughandwerks, die BDK. Sie deckt alle Finanzdienstleistungsbereiche für Händler und Endkunden im Autohaus ab, angefangen bei Absatzfinanzierung und -leasing über die Refinanzierung bis zu den darauf abgestimmten Versicherungsprodukten. Im Fall der BDK ist es die Nürnberger Versicherungsgruppe, die als Kooperationspartner und Risikoträger fungiert und sicherstellt, dass Unfallfahrzeuge zu dem Händler in die Werkstatt kommen, der die Versicherung vermittelt hat.
Heinz W. Droste